Sie ist die künstlerische Direktorin der Fondation Vincent van Gogh in Arles. Und sie spricht mit der Frankreich-Korrespondentin Nina Belz über die innovative Stratege von Maja Hoffmanns riesigem Kunstprojekt.
Nina Belz
Frau Curiger, Sie sind in Ihrem Leben viel herumgekommen, haben in New York, Venedig, Zürich gearbeitet. Seit 2012 sind Sie nun vor allem in einer kleinen Provinzstadt in Frankreich anzutreffen, als künstlerische Direktorin der Fondation Vincent van Gogh in Arles. Was hat Sie hierhergezogen?
Als mich Luc Hoffmann und seine Tochter Maja kontaktierten, wusste ich, dass sie exzellente Partner waren für die Ideen, die ich entwickeln könnte. Ich habe mich zwar vor allem mit Gegenwartskunst beschäftigt, es aber immer geschätzt, wenn ich Ausstellungen machen konnte, die sich auf die Geschichte beziehen. Bis dahin hatte ich mich nie gross mit van Gogh abgegeben, er schien verbraucht vom Massengeschmack. Doch da ist ein unzerstörbarer Kern. Und sein literarisches Werk: Ich sah Potenzial, das man gerade heute anzapfen kann, und die Chance, zu ihm einen neuen, elektrisierenden Zugang zu schaffen. Und dann hat mich der Umstand interessiert, dass ich eben nicht in eine Grossstadt ziehen würde: Die französische Provinz hat mich gereizt.
Erinnern Sie sich an Ihre ersten Eindrücke der Stadt?
Ich bin schon Ende der achtziger Jahre mit Maja Hoffmann in die Camargue gekommen. Damals verbrachte sie noch viel Zeit dort mit ihren Eltern. Wir gingen etwa zusammen auf den Markt. Die Stadt faszinierte mich sehr: der historische Bezug zu den Römern, aber auch die alten Fassaden, die von einem verblichenen Glanz zeugen. Die Armut und die Probleme nahm ich erst wahr, als ich 2012 Fuss fasste.
Nun hat Maja Hoffmann dieses riesige Projekt umgesetzt, über das es in der Stadt auch einige Befürchtungen gab. Mir sagte vor zwei Jahren ein Hotelier, der Turm sei wie ein Ufo, von dem man nicht wisse, was daraus hervorgehe...
Ich habe mit Leuten gesprochen, die Gästezimmer vermieten: Sie haben am Anfang die Preisgestaltung in den schönen Hotels von Maja Hoffmann kritisiert und für zu günstig erachtet. Inzwischen ist alles so gut gebucht, dass die Ängste verschwunden sind. Überhaupt sehe ich eine sehr positive Entwicklung: Viele junge Leute haben Lokale und Läden aufgemacht mit überraschenden, oft handwerklich hergestellten Dingen. Es sind nicht dröge Ketten, die in die Stadt kommen.
Manche sprechen von Gentrifizierung.
Es ist absurd, in einer Stadt wie Arles von Gentrifizierung zu sprechen. Der Ausdruck passt zu Grossstädten wie New York mit Grosskapital, das wie eine Walze über die Stadt rollt. In Arles wird das viel langsamer gehen, und deswegen besteht auch die Hoffnung, dass das kultivierter, also mit Blick auf die Kultur und nicht in erster Linie auf den Profit, vonstattengeht. Zudem gilt: Die Entwicklung der Stadt liegt nicht nur in den Händen einer Person, die mit mäzenatischer Kraft etwas in Bewegung setzt. Um die Probleme einer Stadt zu lösen, ist auch die Politik gefordert.
Sehen Sie eine Verbindung zwischen der Fondation van Gogh und dem Parc des Ateliers?
Maja Hoffmann hat in der Fondation van Gogh ihren Vater vor seinem Tod als Präsidentin abgelöst. Uns ist beiden klar, dass wir eine Verantwortung haben gegenüber Personen, die nie in einem Museum waren oder nie eine nähere Begegnung mit Gegenwartskunst hatten: die Verantwortung, mit einer gewissen Offenheit, aber ohne Anbiederung und Populismus Werte zu vermitteln und nicht nur an die eigenen Peers zu denken. Das Laborhafte, das beiden Projekten eigen ist, ist eine interessante Herausforderung. Die Grundsteinlegung des Parc des Ateliers fiel mit der Eröffnung der Fondation van Gogh zusammen. Für mich schliesst sich auch ein Kreis.
Was sagt der Parc des Ateliers darüber aus, wie wir Kunst konsumieren?
Es ist ein Wunsch von Maja Hoffmann, die Kunst möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Das meiste im Parc des Ateliers kann kostenlos besucht werden. Das Projekt ist auf grosse Offenheit angelegt. Ich fand es immer gut, dass man im Voraus keine grossspurigen Programme verkündete. Stattdessen wurde immer wieder etwas Konkretes präsentiert, das überrascht hat. Und was ebenfalls wichtig ist: Es geht nicht isoliert um Kunst. Hier setzt man auf das Potenzial von Kunst, ganz neue Impulse einzubringen im Zusammenspiel mit weiteren gesellschaftlichen Kräften. Im Sinn ihres Vaters bezieht Maja Hoffmann auch die Wissenschaft und Ökologie mit ein. Das Innovative dabei drückt sich konkret im Atelier Luma aus, wo Designer mit Forschern zusammenarbeiten und mit neuen Materialien experimentieren: So werden zum Beispiel mit Abfall von Sonnenblumen Isolationsmaterial und mit Algen Möbel hergestellt.
Kommt das beim Publikum an?
Ja, es waren die Bewohner der Region, welche die Veranstaltungen sehr zahlreich besucht haben. Sie haben viele Fragen gestellt. Der Parc des Ateliers vermittelt Kunst anders, als das etwa in Paris geschieht. Was François Pinault und Bernard Arnault mit ihren Museen machen, ist wichtig, aber Maja Hoffmann verfolgt eine andere Strategie. Es war zum Teil deprimierend zu sehen, wie die Medien darüber geurteilt haben: Da kamen die Pariser Kunstjournalisten für einmal in die Provinz und prangerten herablassend das Projekt als zu elitär an. Das ist paradox.
Sie pendeln nun seit acht Jahren zwischen der Schweiz und Südfrankreich. Haben Sie einen Lieblingsort in Arles?
Ja, der Glassockel des Turms von Frank Gehry. Da geschieht so viel, kaum tritt man ein. Der Glassockel bietet erst einmal Schutz gegen den gefürchteten Wind Mistral, und er hat überall Ein- und Ausgänge, man sieht in alle Richtungen und in den herrlichen, neu angelegten Park, aber auch hinauf in die Schründe und Faltungen der Architektur von Gehry sowie weit in die Landschaft der Umgebung. Es herrschen Zentrifugal- und auch Zentripetalkräfte, denn man ist sofort mit dem wiederkehrenden Motiv der Spirale konfrontiert – bei der Doppelhelix-Treppe und der Rutschbahn von Carsten Höller zum Beispiel. Man kann dies als Metapher für ein dynamisches Kulturverständnis im Kontrast zu einem statischen Weltbild sehen.
Bice Curiger war 21 Jahre lang Kuratorin am Kunsthaus Zürich. Für die von ihr mitgegründete Kunstzeitschrift «Parkett» pendelte sie jahrelang zwischen Zürich und New York. 2011 leitete sie die Biennale in Venedig. Seit 2013 ist sie künstlerische Direktorin der Fondation van Gogh Arles.