Dritter Gesang: Zusammenfassung und Deutung
Im dritten Gesang betreten Vergil und Dante die Hölle, oder genauer gesagt einen Vorraum der Höhle. Die Zeilen über dem Höllentor sind relativ bekannt, denn sie sind sprachgewaltig, zumindest in dieser Übersetzung.
Durch mich geht' s ein zur Stadt der Schmerzerkornen
Durch mich geht' s ein zur Qualen ewiger Dauer
Durch mich geht' s ein zum Volke der Verlorenen
Problem kann diese Aussage bereiten.
Vor mir war nichts Erschaffenes zu finden
Als ewiges, und ewig bleib auch ich
Woher Dante seine Vorstellungen genau bezog, ist unklar. Aus der Bibel lässt sich diese Darstellung so erstmal nicht entnehmen. Er meint aber offensichtlich, dass, bevor die Hölle erschaffen wurde, nur Dinge erschaffen worden waren, die wiederum ewig sind, also der Himmel und die dazugehörigen Engel. Er orientiert sich offensichtlich an einer bestimmten theologischen Sichtweise. Wer tatsächlich in der Bibel als ewig und unerschaffen beschrieben wird, ist Gott selbst, aber auf diesen Zusammenhang spielt er wohl nicht an, denn dann müsste mit "mir" nicht die Hölle, sondern eben Gott gemeint sein, vor Gott war nach biblischer Vorstellung tatsächlich nichts.
Der Sinn der Inschrift ist uns auf jeden Fall klarer als Dante, denn der fragt Vergil, was die Inschrift bedeute, worauf ihm jener erklärt, dass hier, also in der Hölle, die Leute gebraten würden, die Gott nicht erkannten. Damit ist die zentrale Frage, inwiefern der Gang durch die Hölle eigentlich Dante selbst aus seiner Waldesnacht befreien soll, zwar nicht geklärt, aber wir nehmen mal an, dass er dadurch, dass ihm gezeigt wird, wo er landet, wenn er sich Trägheit, Wollust, Gier, Hochmut etc. hingibt, kuriert werden soll.
Im Moment ist er aber noch gar nicht in der Hölle, sondern in der Vorhölle, also irgendwie in einem Raum zwischen Höllentor und dem Strom, an dessen anderem Ufer die Hölle anfängt.
In diesem Raum sitzen die Lauen, und Lauheit ist nun mal eine Todsünde. In der Offenbarung des Johannes 3, 15/16 finden wir dazu.
15 Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest!
16 Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.
Zu diesen Lauen gesellen sich die Engel, die sich neutral verhielten, als Luzifer gegen den gottestreuen Michael kämpfte. Die Geschichte selber, der Fall der Engel, ist in der Bibel selbst so nicht beschrieben, Andeutungen finden sich in der Offenbarung des Johannes, 12.
Insgesamt verbindet der dritte Gesang Dinge, die man heute nicht mehr so ohne weiteres verbinden würde und liefert ein starkes Bild, für eine bestimmte charakterliche Schwäche.
Zum Einen werden zwei Charaktereigenschaften in einen engen Zusammenhang gebracht, Gleichgültigkeit und Feigheit.
Und er: „Nach diesen Chören, schmerzgewoben,
Ziehn hier die lauen Seelen ihren Reigen
Die ohne Lob und Schande lebten droben
Das beschreibt die Gleichgültigkeit.
Dazu gesellen sich die Feigen, was eigentlich eine andere Kategorie ist.
Gesellt sind sie den Feigen
Der Engel, die sich weder für, noch gegen
Den Herrgott, doch gesondert wollten zeigen.
Es kann sein, dass Dante zwischen Gleichgültigkeit und Feigheit einen Zusammenhang sah, denn in christlicher Tradition werden beide unter derselben Todsünde subsumiert, Acedia. Diese meint Trägheit des Herzens und Feigheit.
Auffallend ist auch noch dieser Vers, denn er benennt die Erlangung von Ruhm als sittlich geboten, bzw. macht die Nichtigkeit eines Menschen daran fest, dass sich die Nachwelt seiner nicht erinnert.
Von ihrem Ruhm blieb auf der Welt nichts über
Mitleid verschmäht sie und Gerechtigkeit
Genug davon! Schau hin – und geh vorüber.
Die Horde der Gleichgültigen und Feigen rennt einer Fahne hinterher, die wild und sprunghaft im Wind flattert. Das ist ein Bild, das wir schon eher verstehen. Wer an nichts glaubt, glaubt eben an alles, aber an nichts richtig. Das ist dann im Ergebnis in etwa dasselbe, wie an etwas glauben, aber sich aus Angst nicht dafür einsetzen.
Als sich seine Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnen und er einzelne Gestalten erkennen kann, gewahrt er „DEN“, der durch Entsagen aus Feigheit, sich großen Gutes beraubte. Wer damit gemeint ist, ist unklar. Unklar auch, ob die Zeitgenossen Dantes wussten, von wem die Rede ist. Wahrscheinlich ist von Papst Cölestin V., der 1294 durch den 1303 verstorbenen Papst Bonifazius VIII. überredet wurde, dem Heiligen Stuhl zu entsagen. Nach andern ist Diokletian gemeint, der als Greis der römischen Kaiserwürde entsagte und sich nach Salona ins Privatleben zurückzog, nach andern wieder ein florentinischer Edler, der im Streit der Guelfen und Ghibellinen neutral blieb und daher hier von Dante als Namenloser gebrandmarkt werden sollte, und endlich zielt man auch auf Esau, der sich das Recht der Erstgeburt durch ein Linsengericht abschwatzen ließ. Interessant ist noch, dass im ersten Gesang Dante sich selbst als wankelmütig beschreibt und es nur dem Zuspruch Vergils und dem Einschreiten Beatrices zu verdanken ist, dass er aus diesem Zustand der Wankelmütigkeit erlöst wurde. Überhaupt scheint Dante über Wankelmütigkeit nachgedacht zu haben, denn schon im ersten Gesang haben wir auch das Bild des Kaufmanns, der bei Erfolg zuversichtlich ist, aber bei Misserfolg kleinmütig wird.
Gleich dem, der hitzig nach Gewinne strebt
und, hört er des Verlustes Stunde schlagen
In Reue Kümmernis und Kleinmut schwebt.
Die Divina Commedia ist zwar fest verankert in einer bestimmten, theologisch begründeten Vorstellungswelt, aber diese abstrakte Vorstellungswelt wurde mit sehr persönlichen Erfahrungen verknüpft.
In einer wohl schon lange andauernden Tradition, werden jetzt Bilder aus der griechischen Mythologie mit christlichen Vorstellungen vermischt. Ein Beispiel für eine solche Vermischung sind ja auch die Fresken Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle. Die Horde der verdammten Seelen befindet sich ebenfalls erstmal in dieser Vorhölle, eilt aber dem Fluss zu, wo sie von Charon, er bringt in der griechischen Mythologie auf einer Fähre die Seelen der Verstorbenen über den Acheron, an dessen Ufer der Hades beginnt, erwartet wird. Als Dante dort erscheint, wird er von Charon aufgefordert zu gehen, da er einst auf einem leichteren Schiff ein anderes Ufer betreten wird. Charon prophezeit Dante also, dass ihm diese Los erspart bleibt, worauf auch Vergil hindeutet.
Kein guter Geist stand je hier fahrtbereit
Drum führte Charon über dich Beschwerde
So weißt du nun, was er dir prophezeit
Auf die Aufforderung Charons, den Ort zu verlassen, erwidert ihm Vergil, dass er den Befehl, der „dort“ , also im Himmel ergangen ist, zu befolgen habe. Dante setzt also mit den Seelen der Verdammten ans andere Ufer über, wo er in Ohnmacht fällt.
Durch mich geht sein zur Stadt der Schmerzerkornen,
Durch mich geht ein zu Qualen ewger Dauer,
Durch mich gehts ein zum Volke der Verlornen .
per me si va ne l'etterno dolore,
per me si va tra la perduta gente.
Es ließ gerechten Sinnes mein Erbauer
Urliebe mit Allweisheit sich verbinden
Und seiner Allmacht türmen diese Mauer!
fecemi la divina podestate,
la somma sapïenza e 'l primo amore.
Vor mir war nichts Er schaffenes zufinden,
Als Ewiges -- und ewig bleib auch ich;
Laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung schwinden! –
se non etterne, e io etterno duro.
Lasciate ogne speranza, voi ch'intrate'.
Die Inschrift zeigte dunkelfarbig sich
Geschrieben überm Simse einer Pforte;
Ich sprach: “ Herr, unklar ist der Sinn für mich!“
vid' ïo scritte al sommo d'una porta;
per ch'io: «Maestro, il senso lor m'è duro».
„Hier können Zweifelängste nicht mehr frommen,
Und jede Zagheit sterbe gleich am Orte.
«Qui si convien lasciare ogne sospetto;
ogne viltà convien che qui sia morta.
Wo du das schmerzgequälte Volk siehst ringen,
Dem der Erkenntnis höchstes Teil genommen.“ –
che tu vedrai le genti dolorose
c'hanno perduto il ben de l'intelletto».
Denn heitern Auges nahm er meine Hand
Und führte mich zu den verborgnen Dingen. –
con lieto volto, ond' io mi confortai,
mi mise dentro a le segrete cose.
In dieser Luft, die Sterne nie erhellten,
Dass ich zuerst mich weinend abgewandt.
risonavan per l'aere sanza stelle,
per ch'io al cominciar ne lagrimai.
Mit Stimmen rau und tief, ein Schmerzgestöhne
Und Zorngekreisch, dazwischen unter Schelten
parole di dolore, accenti d'ira,
voci alte e fioche, e suon di man con elle
Durch endlos-schwarze Luft, wie lockrer Sand,
Der raschelnd stiebt im Wirbel vor dem Föhne.
sempre in quell' aura sanza tempo tinta,
come la rena quando turbo spira.
Begann: „O Herr, welch Lärm wird hier erhoben?
Und wer sind sie , die Pein so übermannt?“
dissi: «Maestro, che è quel ch'i' odo?
e che gent' è che par nel duol sì vinta?».
Ziehn hier die lauen Seelen ihren Reigen,
Die ohne Lob und Schande lebten droben.
tegnon l'anime triste di coloro
che visser sanza 'nfamia e sanza lodo.
Der Engel, die sich weder für , noch gegen
Den Herrgott, doch gesondert wollten zeigen!
de li angeli che non furon ribelli
né fur fedeli a Dio, ma per sé fuoro.
Trieb sie hinaus, doch nicht zum Höllenschlund,
Dass sich nicht Sünder brüsten ihretwegen!“
né lo profondo inferno li riceve,
ch'alcuna gloria i rei avrebber d'elli».
Von ihrem kläglich-bangen Schmerzgewimmer?“
Und er: „Ich mach’s mit kurzem Wort dir kund:
a lor che lamentar li fa sì forte?».
Rispuose: «Dicerolti molto breve.
Ihr Lebenswandel war solch lichtlos-trüber,
Dass ihrem Neid kein ander Los dünkt schlimmer!
e la lor cieca vita è tanto bassa,
che 'nvidïosi son d'ogne altra sorte.
Mitleid verschmäht sie und Gerechtigkeit –
Genug davon! Schau hin – und geh vorüber!“
misericordia e giustizia li sdegna:
non ragioniam di lor, ma guarda e passa».
Sich immer-wirbelnd um und um zu schwingen,
Als schüfe Ruh der ruhelosen Leid;
che girando correva tanto ratta,
che d'ogne posa mi parea indegna;
Ihr nach, wie ich vordem es nimmer glaubte,
Dass je der Tod so viele mocht verschlingen.
di gente, ch'i' non averei creduto
che morte tanta n'avesse disfatta.
Zu sehn, sah ich auch den ,der durch Entsagen
Aus Feigheit großen Gutes sich beraubte.
vidi e conobbi l'ombra di colui
che fece per viltade il gran rifiuto.
Dass dieses wär der Memmen feige Schar,
Die Gott und Gottes Feinden mißbehagen.
che questa era la setta d'i cattivi,
a Dio spiacenti e a' nemici sui.
Lief nackt, und Mücken schwärmten, Wespen flogen,
Die stachen es und bissen’s immerdar.
erano ignudi e stimolati molto
da mosconi e da vespe ch'eran ivi.
Das abwärts tropfte, tränenuntermengt,
Von scheußlichem Geschmeiß dort aufgesogen.
che, mischiato di lagrime, a' lor piedi
da fastidiosi vermi era ricolto.
Sah ich an einem großen Strom sich scharen
Viel Volk, und fragte: „Herr, warum gedenkt
vidi genti a la riva d'un gran fiume;
per ch'io dissi: «Maestro, or mi concedi
Was sind sie und was treibt sie? Deute mir,
Was ich nur schlecht im Zwielicht kann gewahren.“
le fa di trapassar parer sì pronte,
com' i' discerno per lo fioco lume».
Sobald uns erst die Schritte hingetragen
Zu Acherons trübseligem Revier.“
quando noi fermerem li nostri passi
su la trista riviera d'Acheronte».
Und fürchtend, dass ihn weitres Reden störte,
Beschloss ich, nichts mehr bis zum Fluss zu fragen.
temendo no 'l mio dir li fosse grave,
infino al fiume del parlar mi trassi.
Drin ein von Jahreslast gebleichter Greis:
„Weh euch, verworfne Seelen und betörte,
un vecchio, bianco per antico pelo,
gridando: «Guai a voi, anime prave!
Ich führe euch – er rief’s aus rauer Kehle –
Zur ewgen Finsternis, zu Glut und Eis.
i' vegno per menarvi a l'altra riva
ne le tenebre etterne, in caldo e 'n gelo.
Lass jene, deren Lebenslicht verglommen!“
Doch als er sah, ich trotze dem Befehle,
pàrtiti da cotesti che son morti».
Ma poi che vide ch'io non mi partiva,
Du musst zu anderm Strand und Hafen steigen,
Dir wird dereinst ein leichtres Fahrzeug frommen!“
verrai a piaggia, non qui, per passare:
più lieve legno convien che ti porti».
Wo eins ist das Vollbringen und Verlangen,
Dort will manss! Drum, Charon, musst du schweigen!“
vuolsi così colà dove si puote
ciò che si vuole, e più non dimandare».
Dem Steurer dieser fahlen Wasserfläche,
Dem sich ums Auge Flammenräder schlangen.
al nocchier de la livida palude,
che 'ntorno a li occhi avea di fiamme rote.
Erblassten zähneklappernd voll Verzagen,
Als Charons Wort verhieß, w i e Gott sich räche!
cangiar colore e dibattero i denti,
ratto che 'nteser le parole crude.
Sie fluchten Eltern, Ort und Zeit und Samen,
Draus sie dem Schoß verpflanzt, der sie getragen,
l'umana spezie e 'l loco e 'l tempo e 'l seme
di lor semenza e di lor nascimenti.
Zum vielverhassten Strand, wo bangverzagend
Die Gottverächter stets ein Ende nahmen.
forte piangendo, a la riva malvagia
ch'attende ciascun uom che Dio non teme.
Mit barschem Wink zusammen; die da säumen
Zornsprühnden Auges mit dem Ruder schlagend.
loro accennando, tutte le raccoglie;
batte col remo qualunque s'adagia.
Und langsam rings zu Boden sinkt die Last
Goldbunter Blätterchen aus Busch und Bäumen –
l'una appresso de l'altra, fin che 'l ramo
vede a la terra tutte le sue spoglie,
Vom Strand ins Boot wie Vögel, die betrogen
Vom Lockruf sind, wenn sie das Fangnetz fasst.
gittansi di quel lito ad una ad una,
per cenni come augel per suo richiamo.
Und eh sie landen noch am Uferwalle,
Sind diesseits neue schon herangezogen.
e avanti che sien di là discese,
anche di qua nuova schiera s'auna.
Die unter Gottes Zorn dahingegangen,
Strömen hierher vom ganzen Erdenballe
«quelli che muoion ne l'ira di Dio
tutti convegnon qui d'ogne paese;
Gespornt von ewiger Gerechtigkeit,
So dass sich in Begierde kehrt ihr Bangen.
ché la divina giustizia li sprona,
sì che la tema si volve in disio.
Drum, führte Charon über dich Beschwerde,
So weißt du nun, was er dir prophezeit!“
e però, se Caron di te si lagna,
ben puoi sapere omai che 'l suo dir suona».
So mächtig, dass noch heut in Angstschweiß ich
Bei der Erinnerung gebadet werde.
tremò sì forte, che de lo spavento
la mente di sudore ancor mi bagna.
Durchzüngelt von der Blitze roten Schlangen,
Dass mir Empfindung und Besinnung wich
che balenò una luce vermiglia
la qual mi vinse ciascun sentimento;
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